Lernräume an Thurgauer Volksschulen – eine Topografie (2006)

Im 2006 verfasste eine Autorengruppe um Ernst Trachsler von der PH Thurgau im Auftrag des Amts für Volksschule und Kindergarten des Kantons Thurgau einen Schlussbericht zum Thema Lernräume an Thurgauer Volksschulen. Der Fokus lag dabei auf Schulen aus dem Sek I-Bereich. Es wurden keine Schulen der Primarschulstufe in den Bericht aufgenommen. Obwohl der Bericht schon vor längerer Zeit verfasst wurde, können viele der Erkenntnisse auch auf die heutige Situation übertragen werden.

Der Schlussbericht steht auf der Webseite der PHTG zur Verfügung: Lernräume an Thurgauer Volksschulen – eine Topografie (phtg.ch)

An der Untersuchung teilgenommen haben folgende Schulen:

  • Oberstufe Bürglen
  • Oberstufe Diessenhofen
  • Oberstufe Dozwil-Kesswil-Uttwil
  • Oberstufe Erlen
  • Oberstufe Kreuzlingen, Remisberg
  • Oberstufe Märstetten
  • Oberstufe Romanshorn, Sekundarschule Weitenzelg
  • Oberstufe Steckborn
  • Schule für Beruf und Weiterbildung, Romanshorn

Die Autorengruppe bestand aus folgenden Autorinnen und Autoren:

  • Ernst Trachsler
  • Annelies Kreis
  • Miriam Nido
  • Achim Brosziewski
  • Bettina Grimmer

Das Amt für Volksschule und Kindergarten des Kantons Thurgau (AVK) gab den Bericht in Auftrag, um einen Überblick über die neu gestalteten Lernräume zu erhalten und auch zu erfahren, welchen Einfluss diesen auf die Pädagogik haben, bzw. wie diese in der Pädagogik der Schule verankert sind. Im Bericht wird zwischen Schulen unterschieden, in denen die neu gestalteten Lernräume als Ergänzung zum regulären Unterricht eingesetzt werden und in Schulen, in welchen die Lernräume die Didaktik im regulären Unterricht unterstüzten.

Theorie

Grundlegende Lerntheorien unterscheiden sich unter anderem vor allem auch durch die Position, welche die Lehrperson erhält. In der assoziationistischen Lehr-Lerntheorie steht die Lehrperson im Zentrum, da sie die Lernziele festlegt und die Vermittlung des Stoffs übernimmt. Am Ende der Sequenzen findet eine Überprüfung statt. In der konstruktivistischen Lehr-Lernmethode steht die Idee im Vordergrund, dass Wissen nicht einfach übermittelt werden kann, sondern die Lernenden sich aktiv am Prozess beteiligen müssen. Die Lehrpersonen sind hier mehr Begleiter:innen und arrangieren den Lernpfad. Schwächere Schüler:innen müssen mit dieser Lehr-Lernmethode unterstützt werden. Um die Jahrtausendwende entstand dann die Theorie des problembasierten Lehren und Lernens, wo die Schüler:innen nicht nur Faktenwissen büffeln, sondern Handlungswissen erwerben.

Lernwirksamer Unterricht – wissenschaftliche Betrachtung

Einfluss auf die Wirksamkeit des Unterrichts haben gemäss Bericht (vgl. Trachsler et al. 7-10) folgende Bedingungen:

  • Quantität des Unterrichts: Die Menge der Unterrichtszeit hat einen Einfluss auf den Lernzuwachs.
  • Qualität des Lehrmaterials
  • Effizienz der Klassenführung: Störungen während dem Unterricht sollten vermieden werden. Dies geschieht idealerweise über der Motivation der Kinder.
  • Motivierung: Die Motivation ist ein wichtiger Bestandteil vom Lernprozess. Die Schüler:innen sollten den Lerninhalt lernen wollen.
  • Passung: Der Lernstoff dockt am Vorwissen des einzelnen Kindes an und wird auf das Kind angepasst.
  • Individualisierung: Idealerweise kann die Lehrperson den Unterricht soweit individualisieren, dass alle Schüler:innen an ihren eigenen Lernzielen arbeiten können.
  • Angemessene Methodenvariation: Die Lehrperson setzt ein grosses Repertoire von Methoden sinnvoll ein.
  • Klarheit und Strukturiertheit: Wichtig ist, dass die Lehrperson gut verstanden wird und die Sprache angepasst ist.

Lernraum

Die Gestaltung eines Lernateliers oder einer Lernlandschaft erlaubt die Auslagerung eines Teils des Unterrichts in ebendieses. Dort ist es einfacher möglich, den oben genannten Anforderungen nach Individualität zu entsprechen, da dies vom Raum her konzeptionell so vorgesehen ist. Idealerweise verfügt der Lernraum über folgende Merkmale (vgl. Trachsler et al. 11-12):

  • Raumkonzept
  • Freie Informationsbeschaffung
  • Inputlektionen
  • Metakognition (Reflexion des eigenen Lernens und Lernfortschritte)
  • Begleitheft (Ort für das Festhalten des Lernfortschrittes)
  • Kooperatives Lernen
  • Spezielle Kultur (Regeln für die Lernatmosphäre)

Die Schüler:innen übernehmen hier mehr Eigenverantwortung für den Lernprozess. Das eigenständige Lernen erhöht die Motivation bei den Schüler:innen. Die Lehrpersonen benötigen für die Umsetzung grosse fachliches und didaktisches Wissen und müssen stark mit den Lernenden interagieren, bzw. den Austausch zwischen den Lernenden fördern.

Die Schüler:innen werden im Lernraum durch zwei bis vier Lehrpersonen begleitet und stehen für Fragen zur Verfügung. Die Lehrpersonen verfügen über eine hohe Fachkompetenz und können auf Fragen der Kinder eingehen. Bei Unsicherheiten können die Schüler:innen auf die anderen Lehrpersonen verwiesen werden. Die Lehrpersonen verstehen sich vermehrt als Lernpartner:in oder Lernberater:in. (vgl. Trachsler et al. 53-55)

Für die Einführung von Lernräumen an Schulen ist es wichtig, über Lehren und Lernen nachzudenken und eine gemeinsame Haltung festzulegen. Grundsätzliche Anpassungen an der Methodik und Didaktik sind nötig, wenn die grössere Selbstständigkeit für die Schüler:innen im gesamten Unterricht umgesetzt werden soll.

Ergebnisse aus der Untersuchung

In der Untersuchung wurde festgestellt, dass die Lernraumentwicklung häufig eine Bottom-Up-Entwicklung ist und von engagierten Lehrpersonen angestossen wird. Wichtig ist dabei, dass die Mehrheit des Teams für das Projekt gewonnen werden kann und auch die weiteren Stakeholder (Schulleitung, Schulrat, Eltern, …) ins Boot geholt werden.

In der Untersuchung konnten die Autoren zwei Grundtypen in der Umsetzung von Lernräumen/Lernateliers feststellen:

  • Lernraum als zusätzliches Angebot -> klassischer Unterricht, ergänzt durch Unterricht im Lernraum/Lernatelier für gewisse Lektionen, bzw. ergänzende Lektionen
  • Lernraum als integriertes Angebot -> regulärer Unterricht wird im Lernraum/Lernatelier durchgeführt

Die Einführung eines solchen Lernraum-Angebotes sollte über einen längeren Zeitraum geplant werden und wird idealerweise von externen Fachpersonen begleitet. Für die Einführung müssen genügend Ressourcen zur Verfügung gestellt werden und idealerweise stehen entsprechende Räume bereit.

Die Auslegung eines Raumes nach dessen Funktion erscheint zentral. Dabei sollen den Schüler:innen verschiedene Räume mit verschiedenen Funktionen (ruhiges Arbeiten, Gruppenarbeit, Input durch Lehrperson) zur Verfügung gestellt werden. Die „Gruppenkojen“ oder „Lernkabinen“ können z.B. mit Glaswänden abgetrennt werden. Dies ermöglicht eine offene Gestaltung der Lernumgebung.

Das Mobiliar soll eine möglichst offene Präsentation der Materialien ermöglichen, welche somit zur Nutzung animieren. Die Schüler:innen sollen sich ebenfalls an der Weiterentwicklung des zur Verfügung stehenen Materials beteiligen können.

Idealerweise steht der Lernraum den Schüler:innen auch in der unterrichtsfreien Zeit zur Verfügung.

Die Schüler:innen gewinnen mit dieser Unterrichtsform an Selbstbewusstsein, an Sozial- und Fachkompetenz und es erhöht sich die Motivation. Die Schüler:innen übernehmen mehr Selbstverantwortung für ihr Lernen und reflektieren dieses vermehrt. Die Lehrpersonen haben mehr Zeit für einzelne Schüler:innen und schätzen den Lernraumunterricht auch als Pufferzeit. Der Lernraumunterricht fördert die Zusammenarbeit der Lehrpersonen, verbessert die Schulhauskultur und kann die Chancengleichheit erhöhen. (vgl. Trachsler et al. 11-12)


Die Schülerinnen und Schüler sollen Lernen zunehmend als steuerbaren Prozess erfahren, die Selbstverantwortung soll gefordert und gefördert werden. Diese neue Schwerpunktsetzung im Lernraumunterricht führt an manchen Orten auch zur Notwendigkeit neuer Formen der Leistungsbeurteilung und zur Einführung von Kompetenzrastern.

Trachsler et al. 48